Digitale KitaErzieher:inLeitung
Die digitale Realität der Kinder: Medienkompetenz in Kindertageseinrichtungen
Medienkompetenz - ein Schlagwort, das es in sich hat. Inwiefern ist es sinnvoll, in frühe Medienbildung zu investieren? Da hören wir doch mal bei Herrn Horner nach, aus welcher Perspektive er auf die Thematik blickt...
Herr Horner ist der Autor des Werkes "Medienerziehung in der Kita", das bei Don Bosco Medien erschienen ist. Darin fokussiert er auch auf den Kinderschutz-Aspekt früher Medienbildung.
Christoph Horner ist Schulleiter der Katholischen Fachakademie München und unterrichtet angehende pädagogische Fachkräfte in Literatur- und Medienpädagogik.
Kindheit heute ist Medienkindheit
Laptops und Computer, Tablets und das Smartphone, Digitalkameras, Musik- und andere Medienabspielgeräte sowie das Internet mit all seinen Nutzungsmöglichkeiten spielen in der Lebenswelt von Kindern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die miniKIM-Studie 2020 zeigt dies mit ihren Ergebnissen für Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren:
Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Mediennutzungsdauer zu. Die KIM-Studie 2020 über Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren hält fest: sie schauen fast 70 Minuten am Tag klassisch Fernsehen, dazu kommen etwa 25 Minuten über Streamingdienste, ca. 15 Minuten über Mediatheken der Fernsehsender, etwas mehr als 15 Minuten auf YouTube-Kanälen, außerdem ca. 45 Minuten Internetnutzung, etwa 30 Minuten digitale Spiele am PC/Tablet oder Konsole und mehr als 20 Minuten am Smartphone.
Kitas als Medien-Schonraum?
Liegt es bei einem Durchschnitt von 50 Minuten Mediennutzung bei den unter 6-jährigen Kindern und über dreieinhalb Stunden Mediennutzung bei den unter 13-jährigen Kindern nicht nahe, dass die Kindertagesbetreuung Kinder von Medien fernhalten sollte? Sollten Kindertages-Einrichtungen nicht besser Medien-Schonraum sein?
Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) macht sich in dieser Frage für eine kindgerechte Medienbildung von Anfang an und entlang der gesamten Bildungskette stark1. Medienbildung soll sich am Kind (und nicht an den Medien) orientieren und von der kindlichen Entwicklung ausgehend stattfinden, so die Fachgruppe Kita der GMK.
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte empfiehlt in der sog. BLIKK-Studie, die den Medienumgang von Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit den U- und J-Untersuchungen abbildet, „eine pädagogische Frühförderung (…) schon ab dem Besuch des Kindergartens“. Denn gerade weil Medien eine so bedeutende Rolle in der kindlichen Lebenswelt einnehmen, ist es pädagogische Aufgabe insbesondere von Erzieher:innen, Kinder bei der Entwicklung eines kompetenten Medienumgangs bestmöglich zu unterstützen.
Medienkompetenz als Erziehungs- und Bildungsziel
Der Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke (1934–1999) hat in den 1980er und 1990er Jahren Medienkompetenz2 als pädagogischen Fachbegriff in die deutschsprachige Pädagogik eingeführt. Er definiert vier Dimensionen, um Medienkompetenz zu beschreiben.
Mit seinen Dimensionen verdeutlicht er, dass Menschen die Medien nicht einfach nur passiv wahrnehmen und sich von ihnen berieseln lassen. Somit geht es nicht darum, dass Sie als Erzieher:in digitale Medien von Kindern komplett fernhalten. Im Gegenteil: Dieter Baackes Medienkompetenzansatz will bewahrpädagogischen Haltungen entgegenwirken.
Kinderschutz in der Medienpädagogik bedeutet, in einer gelösten Atmosphäre Fürsorge in den Vordergrund zu rücken und das kindliche Selbstbewusstsein zu entwickeln. So gilt es heute, Medienpädagogik kritisch, reflexiv und praktisch anzugehen und Kindern im Sinne der Partizipation das Recht zuzugestehen, dass sie Medien gezielt als Spielzeug, Werkzeug und Arbeitsmittel einsetzen können.
Im Sinne eines kompetenten Medienumgangs geht es darum, das Sie als pädagogische Fachkraft den Kita-Kindern eine aktive und gezielte Nutzung von Medien zu vermitteln. So lernen sie erweiterte Einsatzmöglichkeiten von Medien kennen3, wissen ihrer eigenen Meinung Ausdruck zu verleihen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
„Kinder müssen an digitale Medien genauso herangeführt werden wie an Schere und Stift.“
(Dr. Susanne Eggert, stellv. Forschungsleiterin am JFF)
Lebensweltorientierte Medienbildung
Doch was bedeutet es, medienkompetent zu sein?
Dazu gehört die Fähigkeit des Kindes, sich mit sich selbst und seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Es schult seine eigenen Wahrnehmungen, baut seine sprachlichen Fähigkeiten aus, es entwickelt sich kognitiv weiter und erwirbt soziale Fähigkeiten – und zwar in Bildungsprozessen durch, mit und über Medien!
Mit Blick auf die Praxis bedeutet das, dass Sie als Erzieher:in die (Medien-)Themen der Kinder aufgreifen, die diese je nach Interessen sowie Bedürfnissen einbringen. Als pädagogische Fachkräfte stellen die Fähigkeiten, Fertigkeiten und die Erfahrungen des Kindes sowie dessen Ressourcen in den Mittelpunkt. Daran knüpfen Sie an, starten Aktionen, Projekte oder alltagsnahe (medien-)pädagogische Tätigkeiten, die sie positiv unterstützend begleiten. Wie sich das im Kita-Alltag äußern kann, zeigt folgender Abschnitt auf.
Beispiele für frühe Medienkompetenzförderung4 entlang der vier Baacke´schen Dimensionen:
- Medienkunde: Die Kinder kennen verschiedene Medien. Sie wissen, wie diese technisch funktionieren und wozu sie sie verwenden können. Ein Tablet nutzen sie, um Fotos zu machen, Nachrichten zu lesen, Filme zu schauen, etwas einzukaufen, Notizen zu machen oder um Videotelefonate zu führen.
- Medienkritik: Die Kinder wissen, dass die Medieninhalte (z. B. YouTube-Filme) von Menschen gemacht werden. Sie sind in der Lage, die Medien kritisch zu betrachten und können deren Inhalte beurteilen. Sie haben erkannt, dass es mediale Wirklichkeiten gibt, die nicht der Realität entsprechen. Erstellen Kindern z.B. einen Trickfilm selbst, dann nehmen sie die mediale Wirklichkeit im Vergleich zur Realität bewusst wahr, sie entwickeln ihre visuelle Wahrnehmung weiter, sie können selbst Trickeffekte umsetzen und erkennen, wie Ton und Bild zusammenwirken.
- Mediennutzung: Die Kinder können Medien interaktiv nutzen und sie angemessen rezipieren. Sie schauen etwa zur Unterhaltung Fernsehen, tun dies jedoch nicht stundenlang durch Herumzappen, sondern gezielt. Das Gerät, das sie hierfür verwenden, können sie problemlos bedienen. In der Kita nutzen die Kinder bspw. die Digitalkamera, um gemeinsame Ereignisse per Fotos festzuhalten. Sie wissen, wie sie die Kamera bedienen (anschalten, Bildausschnitt wählen, Auslöser drücken, Foto im Display anschauen).
- Mediengestaltung: Die Kinder verwenden Medien kreativ, um ihren eigenen Gefühlen oder Denkweisen Ausdruck zu verleihen und sich als selbstbestimmt wahrzunehmen. Wenn Kinder bspw. eine Geschichte erfinden, dazu Bilder malen, diese digitalisieren, zu einem Bilderbuch binden oder daraus mit Book-Creator-Apps ein digitales Buch erstellen, dann setzen sie mithilfe von Medien ihre eigenen Ideen um. Sie erleben sich als selbstwirksam.
Müssen pädagogische Fachkräfte selbst Medienexpert:innen sein?
Als pädagogische Fachkraft nehmen Sie neben den Eltern eine wichtige Rolle beim kindlichen Erwerb von Medienkompetenz ein: Sie sind nicht nur mediales Vorbild sondern auch mediale:r Initiator:in, Akteur:in und Kritiker:in. Müssen Sie als pädagogische Fachkraft also selbst auch medienkompetent sein? Müssen Sie mit digitalen Medien gekonnt umgehen können, um Kinder dabei zu unterstützen, medienkompetente Menschen zu werden?
Grundsätzliche Offenheit sollten Sie schon mitbringen. Sie sollten sich von Medien auffordern lassen, sich immer wieder neu darauf einzustellen. Versuchen Sie, die Potenziale digitaler Medien theoretisch zu erfassen und praktisch zu erschließen. Dies ist trotz beschleunigter Entwicklungsdynamik und explodierender Diversifizierung ihrer Anwendungsformen sehr wichtig.
Innerhalb eines Teams genügen jedoch einige Fachkräfte, die ein gewisses Medienwissen, Medienkönnen und einen offenen Medienhorizont haben. Wie bei allen pädagogischen Feldern ist es wichtig, dass Sie über Ihre eigene (medien-)pädagogische Einstellung und Haltung nachdenken.
Neben Ihrer unmittelbaren pädagogischen Arbeit mit Kindern, denen Sie als Bezugspersonen zur Seite stehen, ist Ihre eigene Medienkompetenz hilfreich bei der Verwaltung und Organisation der Einrichtung: digitale Softwarelösungen wie Kita-Apps unterstützen Sie bei der Kommunikation mit den Eltern und beim Austausch im Team, bei der Bildungs- und Entwicklungsdokumentation im ePortfolio und der Kinderfotoverwaltung.
Die Potenziale der Digitalisierung in Kitas zeigen sich auf verschiedenen Ebenen. Tablet und Laptop sowie die darauf installierten Apps können zweifelsohne zu Qualitätsverbesserungen führen, wenn etwa digital abgelegte Informationen ressourcenschonend (und datensicher!) mit anderen geteilt werden können.
Das Kita-Medienkonzept als notwendiger Gelingensfaktor
Wenn Sie als Einrichtung medienpädagogisch arbeiten, ist die Erstellung eines gut strukturierten Medienkonzeptes unbedingt notwendig. Noch bevor Sie damit anfangen, sollten Sie die Fragen skeptischer Teammitglieder und deren gemischte Haltungen auszudiskutieren und gemeinsame Antworten finden. Die oben genannten Fragen zur Medienbiografie können hierbei unterstützen.
Ein Medienkonzept ist neben der Handlungsgrundlage, die es Ihnen als pädagogische Fachkraft bietet, auch Orientierungshilfe für die Kinder und deren Eltern. Darüber hinaus gibt es Auskunft über die pädagogische Qualität der Einrichtung, ihre Mindeststandards und Grundregeln. Ein Medienkonzept kann mit einer Entwicklungsplanung (Meilensteine definieren) starten, zudem Ausstattungsfragen, aber auch Personal-, Fortbildungs- und Raumplanungen klären.
Folgende Punkte sollten Sie definieren4 - am besten gemeinsam mit dem Träger, mit dem gesamten Team sowie mit der Elternschaft:
- Ist uns die Bedeutung von Medien im kindlichen Entwicklungsprozess klar?
- Welche medienpädagogischen Bildungsziele formulieren wir?
- Wie gestaltet sich der Medienalltag der Kinder in ihren Familien?
- Über welche digitalen Kommunikationsmedien erreichen wir die Eltern am besten?
- In welcher Weise stellen wir unsere eigenen Medienkompetenzen nach außen dar?
Übrigens: Es reicht nicht aus, wenn sich Ihr Team nur auf (medien-)technischer Ebene gut auskennt. Wichtiger ist, die Kita medienpädagogisch breit aufzustellen. Das geschieht in kleinen Schritten und dadurch, die pädagogischen Medientätigkeiten sowie die Freude daran sichtbar zu machen.
Den Kita-Alltag digital "übersetzen"
Vieles, das Sie im Alltag selbstverständlich aufgreifen, kann durch die erweiterten Möglichkeiten der digitalen Medien anders und vielleicht sogar besser funktionieren. Medienbildung hat viele Schnittstellen zu anderen Bildungs- und Entwicklungsbereichen.
So können Kinder etwa in eigens angefertigten Protokollvideos sehen und hören, was das Kinderparlament zu berichten hat. Damit setzen Sie das Videoschnittprogramm, die Tabletkamera und das Mikrofon als digital gestützte Methode ein, um Partizipation und Demokratiebildung zu vertiefen. Die Kinder erlernen verantwortungsbewusstes Handeln konkret in Bildern und Videos, Sprache und Ton. Wer sich bereits als Kind seriös um ein digitales Kita-Grundgesetz kümmert, ist hoffentlich später weniger anfällig für Hate-Speech und Desinformationen.
Zusammenarbeit mit Eltern
Widmen Sie darüber hinaus den Eltern Aufmerksamkeit. Eltern möchten regelmäßig informiert werden, ein punktueller Einblick in die medienpädagogischen Aktivitäten reicht nicht aus.
Wenn Sie also eine Medienecke, ein Forscherlabor mit Endoskopkamera und Digitalmikroskop, eine Pixelwerkstatt oder einen Kinder-Computer-Club einrichten, dann machen Sie Ihre Arbeit sichtbar. Es ist wichtig, dass Sie die berechtigten Sorgen von Eltern konstruktiv entkräften und durch Anregungen und Tipps für zu Hause unterstützen. Interessierte Eltern können Sie z. B. durch Fotodokumentationen an Infotischen oder -wänden, durch mündliche Kurzberichte in Bring- und Abholsituationen sowie bei Eltern-Kind-Aktionen aktiv mit einbeziehen.
Fazit
Schon heute ist Medienkompetenz als vierte Kulturtechnik und damit als unverzichtbare gesellschaftliche Teilhabevoraussetzung von entscheidender Bedeutung. Um ungünstigen Mediennutzungs-Gewohnheiten und ungleichen Bildungschancen entgegenwirken zu können, gilt es, die mediale Lebenswelt der Kinder früh aufzugreifen und vermittlungsförderliche Bedingungen für Kinder zu ermöglichen. Die Kita als erste Stufe des deutschen Bildungssystems steht in der Mitverantwortung, Kindern ihrem Alter und ihrer Entwicklung entsprechend Medienpotenziale handhabbar zu machen. Schließlich sollen sie ihren Fähigkeiten entsprechend die mediatisierte Lebenswelt (mit-)gestalten können.
Tipp: Im Online-Shop von Don Bosco Medien finden Sie das Praxiswerk "Medienerziehung in der Kita" von Christoph Horner. Das Praxiswerk vermittelt wertvolles Basiswissen und enthält vielseitig einsetzbares Kartenmaterial mit spannenden Reflexionsfragen, Fallbeispielen und Checklisten für die Team- und Elternarbeit.
Linktipps zum Weiterlesen:
Medienführerschein Bayern | Ran an Maus & Tablet | Gutes Aufwachsen mit Medien | GMK
Quellen:
1) GMK (2017). Kinder im Mittelpunkt: Frühe Bildung und Medien gehören zusammen. Positionspapier der GMK-Fachgruppe Kita.
2) Dieter Baacke Preis (o.J.). Was ist Medienkompetenz? Medienkompetenz als pädagogisches Konzept.
3) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (o.J.). Kinder müssen an digitale Medien genauso herangeführt werden wie an Schere und Stift! Interview mit Expertin Susanne Eggert vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München.
4) Horner, C. (2022). Digital durch die Welt. Wie aus Kindern medienkompetente Menschen werden. In Entdeckungskiste 4/2022 (S. 10-13).