Ist frühe Medienbildung bedenklich? Das geforderte Moratorium rüttelt wach

Eine Stellungnahme sorgt für Furore: Wissenschaftler:innen fordern den Aufschub früher Medienbildung in Kitas und Schulen. Was es damit auf sich hat, lesen Sie in diesem Beitrag.

Ein Junge blickt schmunzelnd zur Seite und kneift ein Auge zu, während er ein Tablet in der Hand hält
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Ein "Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen" (lat. morari: verzögern, aufhalten) rüttelt an den Einstellungen zum Umgang mit neuen Medien in der Kita. Eine Gruppe von 40 deutschen Wissenschaftler:innen fordert, die Umsetzung früher Medienbildung vorerst auszusetzen, bis weitere Erkenntnisse über die langfristigen Folgen vorliegen (vgl. GBW, 2023). 

Hintergrund ist die Kritik von fünf Professor:innen des renommierten Karolinska-Instituts in Stockholm: Sie stellten negative Auswirkungen der Digitalisierung in schwedischen Schulen fest und proklamierten, dass zu viel Bildschirmzeit zu Konzentrationsschwierigkeiten und Sprachentwicklungsstörungen führen kann (Karolinska-Institut, 2023). 

Nun werden wieder Stimmen laut, die "Hab ich´s doch gewusst!", rufen. Und jene, die sich bereits fundiert mit früher Medienbildung auseinandergesetzt haben, schütteln fassungslos den Kopf. Denn längst reichte die Diskussion über das OB früher Medienbildung hinaus, indem Gestaltungsfragen, also das WIE, in den Mittelpunkt rückten.

 

War Bewahrpädagogik nicht schon "out"?!

Dass zu viel und einseitige Bildschirmzeit negative Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung haben kann, will niemand leugnen. Doch die Lösung kann nicht sein, die Augen vor dem soziokulturellen Wandel zu verschließen. Die Digitalisierung ist! Und um es einmal deutlich zu sagen: Auch in der frühen Bildung müssen wir lernen, sinnvoll und verantwortungsvoll damit umzugehen. Warum? 

Die Lebenswelt der Kinder und Familien ist durchdrungen von digitalen Medien. Die frühe Bildung, Erziehung und Betreuung hat aus gutem Grund den Anspruch, lebensweltrelevante Themen in der pädagogischen Arbeit aufzugreifen. Es gilt, diesem Mandat Sorge zu tragen und die entwicklungsangemessene Auseinandersetzung mit neuen Medien zu fördern. Ziel ist die ganzheitliche Förderung der Medienkompetenz von Kindern, Eltern und Kita-Fachkräften.

 

Medienkompetenz ist zu verstehen als "ein Bündel von Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, das ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln in einer durch Digitalisierung & Mediatisierung geprägten Welt ermöglicht.“

(Knaus, Meister & Tulodziecki, 2018, S. 3; zit. nach KMK 2012; KMK 2016).


Hier sollte dem Betrachter deutlich werden, dass es nicht um die blauäugige Verherrlichung digitaler Medien geht. Sieht man Medienkompetenz in ihrem ganzen Umfang, wird klar: Auch gesunde Medienkritik gehört zum kompetenten Medienhandeln. Sie ist im Zusammenspiel mit den Dimensionen Medienkunde, -nutzung und -gestaltung (lt. Baacke) darauf gerichtet, Kinder und Erwachsene zu befähigen, Akteur statt Opfer der Digitalität zu sein.

 

Medien(pädagogische) Kompetenz für alle

Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das weder von heute auf morgen umgesetzt noch jemals "final" erreichbar ist. Ständig zwingt uns der schnelle technologische Fortschritt dazu, unser Denken und Handeln zu reflektieren und unsere digitale Bildung auszubauen. 

Der Wandel ist grundlegend. Er betrifft schon heute Zugänge zu gesellschaftlicher Teilhabe, Bildung und Lernen. Sie alle werden zunehmend abhängig von den Mediennutzungsgewohnheiten und -kompetenzen des Einzelnen. Demnach ist Medienkompetenz als vierte Kulturtechnik zu begreifen und von Anfang an mitzudenken. Genau wie die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen gilt es, sie bereits in der Kita anzubahnen. Denn schließlich wird Digitalität auch zukünftig ein großes Thema sein. 

Nein, es ist keine triviale Angelegenheit, Medienkompetenz zu vermitteln. Neue Medien im bildungsbezogenen Kontext einzusetzen, erfordert medienpädagogische Kompetenz. Wie gelingt es, das Digitale in all seinen Erscheinungsformen und Inhalten aufzugreifen und sinnvolle Bildungsmomente zu kreieren? 

Deshalb ist es längst an der Zeit, aktiv zu werden und digitale Bildung mehrdimensional zu betrachten. 

 

Handlungsorientiert ansetzen!

Einen ganzheitlichen Ansatz schlägt die GMK (Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur) vor:  

 

"Das genannte Moratorium darf nicht umgesetzt werden. Was hingegen dringend umgesetzt werden muss, ist eine vielschichtige, altersgerechte Medienbildung entlang der gesamten Bildungskette."

(GMK, 2023)

 

Was ist damit gemeint? 

 

Forderungen der GMK

Statt eines Moratoriums fordert die GMK unter anderem:

• "Medien nicht zum Selbstzweck, sondern zum kreativen, aktiven Gestalten und Darstellen der Lebenswelt und Themen einzusetzen

Organisationsentwicklung mitdenken (rechtlich, Ausstattung, technischer Support), Medienbildung nicht ausschließlich an die technische Ausstattung koppeln

• Erwerb medienpädagogischer Kompetenz muss zur pädagogischen Grundausbildung gehören, Ausbau von medienpädagogischen Aus-, Weiter- und Fortbildungsangeboten für pädagogische Fachkräfte (in der Kindertagespflege, Kita und an Schulen)

Interdisziplinäreren Austausch zu gesellschaftlich relevanten Medienthemen stärken (Medienbildung als Aufgabe der politischen Bildung, Medienwissenschaften, Pädagogik, Informatik etc.)

• Medienpädagogisches Gütesiegel; Begutachtung insbesondere von kommerziellen Produkten, Medienbildung nicht den Konzernen überlassen

Verstetigung und Standardisierung von Medienbildung, Erzieherischen Jugendmedienschutz; Prävention dauerhaft stärken"

(GMK, 2023, S. 4)

Der Ausgangsgedanke der GBW (Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.) ist derselbe: "Es ist dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Bei Erziehung und Unterrichten muss das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns im Mittelpunkt stehen." (S. 1). 

Aber ist es gerechtfertigt, die Schlussfolgerung eines Moratoriums daraus abzuleiten, das bewahrpädagogisch anmutet?

Der handlungsorientierte Ansatz der GMK ist zeitgemäßer und bezieht ein, dass in vielen Einrichtungen bereits sehr gute, fundierte Medienkonzepte umgesetzt werden. Genau dort hakt die GMK mit ihren Forderungen ein: Die Stärkung der ganzheitlichen digitalen Bildung und frühen Medienerziehung auf allen Ebenen. Auch der Ruf nach dem DigitalPakt Kita, der seit Jahren immer lauter wird, geht in diese Richtung.

Bleibt zu hoffen, dass sich endlich etwas bewegt: Keine Allgemeinplätze - sondern genau hinsehen und das WIE nicht nur diskutieren, sondern auch gestalten

Fazit

Das Moratorium rüttelt wach! Denn richtig ist: Eine einseitige Betrachtung und Umsetzung früher Medienbildung ist nicht vertretbar. Vielmehr muss digitale Bildung in der Kita ganzheitlich gedacht werden. Die Pädagogik führt, die Technik folgt.

Insgesamt hält die Kita-Digitalisierung vielseitige Potenziale bereit. Die neuen Medien machen sich als praktische Werkzeuge in Erwachsenen- und Kinderhand gut, z.B. für die medienpädagogische Arbeit, die partizipative Portfolioarbeit, moderne Elternkommunikation und effiziente Kita-Organisation per Kita-App. Sollte das wirklich ungenutzt bleiben? 

Wie sehen Sie das? Ich freue mich auf Ihre Einschätzung unter jasmin.block@handbuch-digitale-kita.de!